Queere Menschen durch Artikel 3 GG schützen!

Veröffentlicht von Wiebke Neumann 9. August 2024

Im Koalitionsvertrag haben wir festgehalten, dass Berlin den Artikel 3 des Grundgesetzes um das Merkmal der Sexuellen Identität erweitern will. Senatorin Cansel Kiziltepe hat hier schon wichtige Vorarbeit geleistet und mit ihrem Haus eine Bundesratsinitiative vorbereitet.

Dieser Artikel schützt Menschen vor Benachteiligung und Diskriminierung – es wird Zeit hier auch queere Menschen endlich zu schützen!

Im Abgeordnetenhaus habe ich in meiner Rede deutlich gemacht, dass wir hier auch eine historische Verantwortung haben.

Rede im Wortlaut

Quelle: https://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/19/PlenarPr/p19-050-wp.pdf#page=46

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal gut, dass wir über das vorliegende Thema sprechen, die Ergänzung des Artikel 3 des Grundgesetzes, denn ich glaube, das ist für die meisten hier im Raum also quasi alle so ab hier ein gemeinsames Anliegen.
Ich finde es gut, wenn wir nachher auch noch dazu kommen, dass wir das in den Ausschüssen gründlicher besprechen und vorbereiten.
Wir haben hier vor wenigen Wochen in diesem Raum 75 Jahre Grundgesetz gefeiert. Da gab es diese schöne Miniausgabe. Und wir feiern das Grundgesetz auch, weil es das Wertegerüst und die Grundlage unserer Demokratie ist. Heute sprechen wir über eine wichtige und längst überfällige Ergänzung dieses Grundgesetzes: Die Ergänzung des Artikel 3 Absatz 3 um das Merkmal der sexuellen Identität.
Ich bin froh, dass auch diese Koalition im Koalitionsvertrag eindeutig vereinbart hat, dass sich Berlin auf der Bundesebene für diese Ergänzung einsetzen wird. Wir sind also schon dran. Ich bin auch froh, dass die Vorbereitungen dafür schon laufen. Senatorin Cansel Kiziltepe und ihr Haus arbeiten seit Monaten an einem Entwurf für eine Bundesratsinitiative, und dafür möchte ich Ihnen herzlich danken.

Wir diskutieren diese Grundgesetzänderung heute auch vor einer historischen Verantwortung. Als vor 75 Jahren die Mütter und Väter des Grundgesetzes den Artikel 3 formuliert haben, taten sie dies auch unter dem Eindruck und als Konsequenz der nationalsozialistischen Verfolgungspolitik. Das Grundgesetz war die demokratische Antwort auf undemokratisches Unrecht. Doch in Teilen setzte sie auch Unrecht fort. Homosexuelle und Menschen mit Behinderungen blieben damals außen vor bei Artikel 3, bei der Gleichheit vor dem Gesetz. Für das Diskriminierungsverbot aufgrund von Behinderungen haben wir dieses Versäumnis bereits geheilt; 1994 wurde die Ergänzung aufgenommen. Für queere Menschen steht dieses Anerkennen und dieser Schutz im Grundgesetz aber noch aus. Die damals noch junge Bundesrepublik setzte das Unrecht gegenüber homosexuellen Menschen sogar noch lange und furchtbar fort. Der Paragraf 175 wurde schon angesprochen, erst in den Neunzigerjahren endgültig aufgehoben, und über die Aufarbeitung müssen wir natürlich heute noch sprechen.

Hätte es der Zusatz der sexuellen Identität bereits 1949 in unser Grundgesetz geschafft, wäre viel Leid, viel Unrecht vielen Menschen erspart geblieben.
Aber unser Land hat sich weiterentwickelt. Heute gibt es sie, die breite Unterstützung in der Bevölkerung, in den demokratischen Parteien, eine laute und sichtbare Zivilgesellschaft, die das einfordert, was selbstverständlich sein sollte: Dass die Gleichheit vor dem Gesetz auch unabhängig der sexuellen Identität garantiert ist, ohne Wenn und Aber. Und die Weiterentwicklung des Artikels 3 ist möglich. Das hat auch schon die Ergänzung um das Merkmal Behinderung gezeigt. Das zeigen uns auch andere Länder. Die Niederlande haben gerade erst ihren Artikel 1 ist es dort der Verfassung entsprechend ergänzt. Und Europa ist mit der Europäischen Grundrechtecharta da sowieso bereits. Auch unsere Bundesländer gehen da voran, Berlin natürlich wie immer eine Vorreiterin.

Diese Artikel und Ergänzungen in Verfassungen sind auch wichtige Signale in die Gesellschaft hinein. Sie beschreiben, welche Werte für uns unverhandelbar sind und welche Werte wir schützen wollen. Das ist in den aktuellen Zeiten das wurde auch schon angesprochen wichtiger denn je.

Wir haben hier an verschiedenen Stellen schon darüber geredet, wie wir unsere Demokratie wehrhaft machen und vor Angriffen schützen. Diese Ergänzung ist für mich ein Teil davon. Wir müssen diese Schutzlücke im Diskriminierungsverbot als Garantie für die Zukunft schließen, vor allem auch unabhängig von Tagespolitik.
Die antragstellenden Fraktionen Grüne und Linke wissen aus eigener Erfahrung gut, Änderungen des Grundgesetzes geschehen nicht von heute auf morgen. Sie geschehen auch nicht schneller aufgrund von Oppositionsanträgen.
Der Hinweis sei mir erlaubt, es gibt hohe Hürden für Verfassungsänderungen. Es gibt bereits gescheiterte Versuche, das wurde hier beschrieben.
Und es braucht eine gute Vorbereitung. Deshalb sind wir schon dran, das ist gut. Und deshalb gibt es auch die Überweisung an die Ausschüsse, denn das ist diesem Thema auch angemessen. Gründlichkeit, das richtige politische Gespür und Timing und ein gemeinsames Wirken der demokratischen Fraktionen hier im Raum können dazu beitragen, dass es uns hoffentlich bald gelingt, dass wir diese überfällige Ergänzung in Artikel 3 des Grundgesetzes, diesem für uns so elementaren Büchlein, verankern können. Das gelingt nur gemeinsam und gründlich. Vielen Dank!